Gastspiel des Schauspielhaus Wien im Rahmen der THEATERALLIANZ

Kudlich - Eine anachronistische Puppenschlacht

von Thomas Köck / Regie: Marco Štorman
Wien im März 1848 – die drei Jahrzehnte seit dem Wiener Kongress haben eine bleierne Restaurationszeit gebracht, der Feudalismus besteht weiter, die Hoffnungen auf Demokratie und Freiheit haben sich nicht erfüllt. Doch unter der Oberfläche der Ständegesellschaft gärt es und Umbrüche beginnen sich anzudeuten. Einer der Protagonisten der Rebellion: Hans Kudlich. Obwohl bei einer Demonstration durch ein Attentat lebensgefährlich verwundet, lässt sich der Sohn einer Bauernfamilie von seinem Kampf für die Freiheit nicht abbringen. Er zieht mit 25 Jahren als jüngstes Mitglied in den österreichischen Reichstag ein. Im Juni 1848 legt er dort den Gesetzentwurf zur Aufhebung der Leibeigenschaft vor und geht dadurch als Bauernbefreier in die Geschichte ein. Kaum ist die Freiheit von den Feudalherren erkämpft, stellt sich allerdings die Frage nach der Zukunft: Die Bauern brauchen nun Kredite für eigene Höfe und so führt ihre Befreiung in die Abhängigkeit von der neugegründeten Raiffeisenbank. Ihre Freiheit, ein vergiftetes Geschenk? Aus Leibeigenen werden plötzlich Agrar-Oekonomen – das Unternehmertum mit allen verbundenen Chancen und Risiken ersetzt die sichere Unfreiheit des Feudalismus.

In seinem jüngsten Stück verwendet Thomas Köck die Biographie Hans Kudlichs als Folie, vor der er humorvoll und poetisch Fragen nach Revolution und Widerstand aufwirft. Lustvoll springt er dabei zwischen Historie und Gegenwart hin und her und erzählt über die Ambivalenz der Freiheit. Der Philosoph Byun-Chul Han, der mit seinem Begriff von der »Muedigkeitsgesellschaft« die vielleicht praegnanteste Analyse der letzten Jahre gestellt hat, spricht davon, dass unser System »von der Fremdausbeutung auf die Selbstausbeutung« schalte, »weil dies mehr Effizienz und mehr Produktivitaet generiert, alles unter dem Deckmantel der Freiheit.« Die Folge sei die grassierende Ueberforderung des Einzelnen, die zu immer mehr psychischen Erkrankungen führt. Ist die Freiheit im Kapitalismus eine neue Form der Unterdrueckung, indem sie die Menschen zur permanenten Selbstausbeutung und Optimierung noetigt?

Thomas Koeck, geboren 1986 in Steyr, gilt als einer der vielversprechendsten jungen deutschsprachigen Autoren – kuerzlich erhielt er für sein Werk »paradies fluten (verirrte sinfonie)« den Kleist-Förderpreis 2016, die wichtigste Auszeichnung für junge Dramatik im deutschsprachigen Raum. Schon in seinem Erstlingswerk »jenseits von fukuyama «, für das er den Osnabruecker Dramatikerpreis 2014 bekam, erzaehlte er von einer Arbeitswelt, die von einem utopischen »Ende der Geschichte« weit entfernt ist, in der vielmehr Angst und Druck das Klima bestimmen. Das Stueck wurde unter anderem am Nationaltheater Mannheim aufgefuehrt, dessen Hausautor Thomas Koeck in der vergangenen Saison war. Im Frühjahr 2016 wurde am Schauspielhaus Wien mit »Strotter« in der Regie von Tomas Schweigen erstmals ein Stueck von Thomas Koeck in Oesterreich zur Urauffuehrung gebracht. Fuer »Kudlich« gewann er im Frühjahr 2016 den Autorenpreis der oesterreichischen »Theaterallianz«.
Sein ebenso komischer wie sprachlich virtuoser Parforceritt durch die Restaurationszeit arbeitet sich an Vorbildern wie Kleist und Buechner ab und spielt immer wieder mit moeglichen Parallelen zwischen unserer Gegenwart und der Restaurationszeit nach dem Wiener Kongress. »Geistesgroeßen « beider Epochen von Georg Buechner bis Arabella Kiesbauer treffen aufeinander, bis sich zuletzt die Frage nach Revolution und Widerstand in der Gegenwart stellt. Obwohl unsere westlichen Gesellschaften momentan durch die grassierende Angst vor dem Fremden beinah gelähmt wirken und unfaehig zur inneren Reform: Muesste nicht weiter für Freiheit und Gerechtigkeit gekaempft werden? Der Soziologe Heinz Bude sprach kuerzlich mit Blick auf die prekaeren Verhaeltnisse in Call Centern oder der Logistik-Wirtschaft von einem neuen »Dienstleistungsproletariat «, von Menschen, die trotz aller Sozialgesetzgebung oft mehrere Jobs gleichzeitig machen und dennoch in Armut leben muessen. Stellt sich da nicht eine neue Soziale Frage? Oder sind die Menschen auch im 21. Jahrhundert, wie Buechner sagt, nur »Puppen, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen«?
Marco Storman, geboren 1980 in Slowenien, aufgewachsen in Graz und Hamburg, legt nach der Deutschsprachigen Erstauffuehrung von Chris Thorpes »Moeglicherweise gab es einen Zwischenfall« in der letzten Saison mit der Produktion »Kudlich«, die 2017 nach der Vorstellungsserie in Wien auf Tournee durch die oesterreichische »Theaterallianz « gehen wird, nun seine zweite Regiearbeit am Wiener Schauspielhaus vor. Seit 2009 ist er freier Regisseur und wurde 2013 für seine Inszenierung von Elfriede Jelineks »Winterreise« am Stadttheater Klagenfurt zum Festival »radikal jung« in Muenchen eingeladen, dem renommiertesten Festival für junge Regie im deutschsprachigen Raum. Seitdem inszenierte er u. a. am Hamburger Thalia Theater, Staatstheater Kassel, an der Staatsoper Stuttgart sowie im Rahmen der »Muenchener Biennale fuer neues Musiktheater«. Seit 2016 ist er Hausregisseur für Musiktheater am Theater Luzern und arbeitet außerdem an den Theatern Bremen, Bonn und am Staatsschauspiel Dresden.

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PRODUKTIONSTEAM
Autor: Thomas Koeck
Regie: Marco Storman
Bühne: Jil Bertermann
Kostüme: Jil Bertermann
Musik: Gordian Gleiss
Dramaturgie: Tobias Schuster

BESETZUNG
Nicolaas van Diepen
Peter Elter
Max Gindorff
Katharina Haudum
Lisa-Maria Sexl

Eintritt: € 17,- ermäßigt € 9,-

Pressestimmen

"Eine anachronistische Puppenschlacht von Thomas Koeck - kraftvoll im Schauspielhaus Wien. (...) Bei aller sensibel zuarbeitenden Inszenierungsbeigabe des Regisseurs Marco Storman, bei allem Koerpereinsatz des kraftvollen Ensembles (…) beeindruckt diese Textwucht am meisten. (…) Dieser Abend fuehrt seine Faeden sicher. Verdient großer Applaus." Der Standard

„Hochpoetisch ist dieser Text, wunderschoen anzuhoeren, diese Sprache, die sich tief ins Fleisch bohrt (…) Rotzfrech, stellenweise saukomisch und biedermeierpostmodern schreibt Koeck ueber die Restaurierung der Restauration.“ Mottinger’s Meinung

„Was haben diese aktuellen, ueberzeugend gespielten Karikaturen mit Hans Kudlich zu tun, dem „Bauernbefreier“ in der liberalen Revolution von 1848, der die Abschaffung der Leibeigenschaft betrieb? Viel, wenn man den Dramentext studiert, denn nach der Fron kamen neue Abhaengigkeiten. Die damals gegruendete Raiffeisen–Genossenschaft wird als Negativbeispiel genannt, Neoliberalismus mit Rechtspopulismus verknüpft, als neues System der Ausbeutung, wie das Programmheft erläutert. Angereichert wird der Abend mit TV-Moderatorin Arabella und Schlagersaenger Gabalier, Büchner und Kleist kommen aus dem Vormaerz zu Wort“ Die Presse

„Das junge Ensemble erbringt hierbei eine ausnahmslose Glanzleistung“ APA

"Gelungene Uraufführung von Thomas Koecks „Kudlich“ im Schauspielhaus Wien." Kleine Zeitung

"Jelinek auf Speed" Der Falter

„Der Text macht Spaß. Das epische Erzaehlen, für das sich Koeck ueber weiter Stecken entscheidet, ist bezaubernd dicht. Man will den Text nachlesen und ein bisschen mit ihm leben. Die Figuren changieren, vermischen sich. Der Stier auf der Bühne ist so geil! Sie sehen Max Gindorff oben ohne und dramatisch sterben. Gehen Sie, und schauen Sie sich das an. Also: das ganze Stück, nicht nur den schönen Max.“ Callisti (Theaterblog)